Wie doch die Zeit vergeht! Seit einer gefühlten Ewigkeit ist das kleine Lädeli am Graben mit seinen liebevoll gestalteten Schaufenstern und dem schönen Schmuck ein Blickfang. Nun erreicht Inhaber Ruedi Derks im Herbst sein Pensionsalter: 1997 hat er hier angefangen, zuvor war er ab 1982 zuerst Geschäftsführer, dann Inhaber eines Schmuckladens im Neuwiesenzentrum.
«Gerade als mich langsam der ‹Zentrumskoller› beschlich, erhielt ich einen Tipp für dieses Ladenlokal in einer Liegenschaft von Bruno Stefanini», erinnert er sich. «Doch als ich dort anrief, hiess es, man sei schon anderweitig am Verhandeln.» Zum Glück war Stefaninis legendäre Sekretärin Dora Bösiger eine Kundin von ihm, und so bat er sie, bei ihrem Chef ein gutes Wort einzulegen. Es klappte, und Derks konnte seinen Laden nach eigenen Vorstellungen umbauen. Dabei kaum auch der alte Holzboden zum Vorschein, der heute noch für ein warmes Cachet sorgt.
Nachfolge dank Lehrlingsaustausch gefunden
Schon seit rund fünf Jahren machte sich der Goldschmied Gedanken zu seiner Nachfolge und zog auch einen Branchenberater bei. Doch letztlich kam die Lösung ganz anders zustande: durch einen branchenüblichen Lehrlingsaustausch. Dieser ermöglichte es dem Lehrling Simon Eichmann, damals in seinem 3. Lehrjahr, im Oktober und November 2019 durch ein Praktikum bei Ruedi Derks seinen beruflichen Horizont zu erweitern. «Da ich wusste, dass er noch Techniken anwendet, die man in anderen Lehrbetrieben nicht mehr mitbekommt – etwa Edelsteine fassen, Gold schmieden und Ketten machen – wollte ich unbedingt zu ihm», erzählt Eichmann.
Als die Zusammenarbeit sehr positiv verlief, fragte der Chef seinen Praktikanten kurzerhand, ob er sich eine Nachfolge vorstellen könne. Der Vorschlag stiess bei Eichmann auf offene Ohren, denn dieser suchte ein eigenes Atelier in der Altstadt. «Es ist ideal: Am Graben ist alles etwas entspannter, kleinräumiger, persönlicher, und es hat sogar Bäume!», schwärmt er. «Auch mit Ruedi Derks Schmuckstil kann ich mich bestens identifizieren.»
Ein Traum im Hinterkopf
Zudem ist Simon Eichmann mit seinen knapp vierzig Jahren auch altersmässig «reif» für ein eigenes Geschäft, denn die Goldschmiedelehre war seine Zweitausbildung: Nach einer Lehre als Konstrukteur studierte er am Tech Maschinenbau, danach arbeitete er jahrelang in seinem Beruf. Doch den Traum, Goldschmied zu werden, trug er schon lange in sich: «Mir gefiel die Arbeit als Konstrukteur zwar gut, aber es fehlte mir, dass ich nicht selber umsetzen konnte, was ich entwickelt hatte», sagt er. «Etwas mit eigenen Händen von A bis Z erschaffen, das ist für mich das Schönste!»
Trotzdem ist das CAD (Computer Aided Design), das in sei-nem früheren Beruf eine zentrale Rolle spielte, nicht verloren: «Es ist ein nützliches Werkzeug, um meiner Kundschaft mit einem Bild oder einem Modell einen besseren Eindruck zu geben», sagt er. «Früher musste sie dem Handwerker blind vertrauen.»
Beim Schmuck wird die Geschäftsübergabe für die Kundinnen und Kunden kaum spürbar sein: «Ich suchte ja etwas zum Übernehmen und will nicht einen neuen, eigenen Stil durchsetzen, sondern etwas Schönes, Beständiges weiterführen», sagt Eichmann, der nun schon seit Juli 2020 mit Derks zusammenarbeitet. Dabei hat er auch seine Kundschaft kennen gelernt. «Es geht vorerst in die gleiche Richtung weiter. Vielleicht wird sich mit der Zeit langsam etwas verändern.»
Trotz verschwindender Altstadtläden oder der Corona-Erfahrungen findet es Eichmann nicht besonders riskant, ein eigenes Geschäft zu eröffnen – man sei sogar erstaunlich gut durch das vergangene Jahr gekommen. «Nach dem Lockdown spürten wir einen gewissen Nachholbedarf», sagt Eichmann. Er ist überzeugt: «Handwerk wird immer einen Wert und eine Kundschaft haben. Und tagtäglich mit dem zu tun zu haben, was anderen Freude macht, ist für mich das Schönste!»